Kinder forsten ein Waldstück wieder auf.

Kleinstadtbiotop Vöcklabruck


Innenstädte kämpfen seit Jahren mit Leerständen und sinkender Kundenfrequenz, während am Stadtrand oft wertvoller Boden versiegelt wird. Mit der Revitalisierung eines alten Gebäudes und der Errichtung eines nachhaltigen Wirtschaftsstandortes mitten am Stadtplatz Vöcklabruck wirkt das KLEINSTADTBIOTOP dieser Entwicklung entgegen. Seit Oktober 2023 sind 1300 m2 Gewerbefläche mit zehn Geschäften, zwei Restaurants, Kinder- und Kursflächen sowie drei sozialen Einrichtungen gefüllt. Das Entwicklungsprojekt zeichnet sich durch eine multifunktionale Flächennutzung, ein nachhaltiges Sortiment und Angebot, ein solidarisches Wirtschaftskonzept, einen inklusiven Beschäftigungsansatz und konsumfreien Begegnungszonen aus. Insgesamt arbeiten im Kleinstadtbiotop 80 Personen zusammen, davon neun Menschen mit körperlichen und intellektuellen Beeinträchtigungen.

Geschäftsfläche mit Personen im Hintergrund

Entwickelt wurde das Projekt in einem lokalen Agenda 21 Prozess der Stadt Vöcklabruck. 2020 fanden engagierte Gastronom:innen, Unternehmer:innen, regionale Produzent:innen und interessierte Bürger:innen aus und rund um Vöcklabruck zusammen. Getragen wurde die Initiative unternehmensseitig vom Wunsch nach mehr gelebter Kooperation und betrieblicher Zusammenarbeit. Die Bürger:innen und die Stadt Vöcklabruck wiederum streben die Belebung des Stadtzentrums und innovative, urban geprägte Dienstleistungen in der Kleinstadt Vöcklabruck an. Das ambitionierte Ziel war nicht weniger, als mit Bürger:innenbeteiligung ein Konzept zur Bewirtschaftung einer gemeinsamen Geschäftsfläche zu entwickeln. Dazu fanden ab Juni 2021 eine Reihe von öffentlichen Workshops statt. Dabei wurden neben den Interessen der involvierten Unternehmer:innen auch die Bedarfe und Wünsche von Bürger:innen abgeholt. Was fehlt an regionalen Angeboten in der Stadt Vöcklabruck? Beispielsweise wurde der Wunsch nach der Kombination Gastronomie/Kinderbetreuung stark nachgefragt, aber auch eine Markthalle mit regionalen Produkten oder eine Produktionsküche für regionale Produzenten stand hoch im Kurs. Mit diesem Nutzungsprofil sondierte man ab Herbst 2021 den Vöcklabrucker Immobilienmarkt.

Anfangs als Genossenschaft gedacht, konnte im Herbst 2022 mit Hilfe von Investoren dann tatsächlich eine 1300m2 große (zum Großteil leerstehende) Geschäftsfläche am Stadtplatz Vöcklabruck gefunden werden.

Gemeinsam mit den im Objekt bereits befindlichen Mieter:innen, einer Reihe von interessierten neuen Mieter:innen und interessierten Bürger:innen wurde in der Folge, auch in enger Abstimmung mit den Anrainer:innen, über ein Jahr an einer Nutzungsstudie gearbeitet. Diese stellte die Basis für die relevanten baurechtlichen und gewerberechtlichen Einreichungen dar. Das umfangreiche Nutzungskonzept wurde partizipativ erarbeitet und umfasst folgende Bausteine, die mittlerweile alle in die Realität umgesetzt wurden:

Ein solidarischer WIRTSCHAFTSSTANDORT: In der MARKTHALLE arbeiten neun Unternehmen zusammen und bieten einen bunten Mix aus regionalen und hochwertigen Produkten. Dieses solidarische Modell bietet lange Öffnungszeiten, geteilte Kosten und nur einen Wochentag Markthallendienst pro Unternehmen. Jeweils ein Unternehmen übernimmt den Verkauf für alle Geschäfte. Das neu programmierte Kassaprogramm ordnet die Geldeingänge zu. Dadurch werden Ausgaben gespart und Vertretungen erleichtert. Für Start Ups sind die finanziellen Risiken reduziert und die Frequenz bereits vorhanden.
Ein Secondhandladen ist genauso zu finden, wie biologische Lebensmittel, Spielsachen und regionales Kunsthandwerk. Zwei hochwertige Gastronomien sorgen für Vielfalt und Genuss. Das vegan/ vegetarische Restaurant HELI’S und die Pizzeria DE MICHELE verwenden vorwiegend Produkte aus nachhaltiger und regionaler Erzeugung und befassen sich intensiv mit den Themen Kreislaufwirtschaft und Abfallvermeidung.

Ein Zentrum für SOZIALES: Verschiedene Anlaufstellen und Büros der CARITAS betonen den sozialen Aspekt und bereichern den bunten Mix im Haus. Für die Nachhilfe sitzen die Schüler:innen des CARITAS LERNCAFES in  HELI’s Restaurant, so wird diese Fläche zwischen Mittags- und Abendbetrieb genutzt. Die Nachhilfeschüler:innen sind Teil des KLEINSTADTBITOPS, sie beteiligen sich an Veranstaltungen und der gemeinsamen Flächennutzung. Beschäftigte der LEBENSHILFE bereiten  die „gesunde Jause“ für die Kinder des Lerncafes zu.

Gelebte INKLUSION mitten in der Gesellschaft: Am SERVICE DESK im Foyer sind inklusiv Beschäftigte der Lebenshilfe erster sichtbarer Ansprechpartner für Besucher:innen, bieten verschiedene Dienstleistungen an und übernehmen Verwaltungstätigkeiten für das KSB. Neun inklusiv Beschäftigte beteiligen sich an Arbeiten im gesamten Haus, sind Teil der MARKTHALLE und haben eigene Formate entwickelt (Strick Café, Marktstand, Basteltreff…). Lehrgänge in den Bereichen Gastronomie und Einzelhandel sind in Planung. Regionale Betriebe können hier inklusive Beschäftigung erleben und sich darüber informieren. Dieser sichtbare Ort der Inklusion zeigt, was „mittendrin im gesellschaftlichen Leben“ bedeutet.

Ein DRITTER ORT in der Innenstadt: Menschen brauchen zentrale Orte der Begegnung! Der gemütliche und barrierefreie MARKTPLATZ ist sowohl Begegnungszone, konsumfreier Sitzbereich als auch kulinarische Selbstbedienungszone. Ein Ort für sozialen Austausch mit einer kreativen Kinderspielfläche und verschiedenen Angeboten (Familienfrühstück, Strick Café, Flohmärkte, Biomärkte…).

Ein Platz für KINDER UND FAMILIEN: Die 130 m2 große Kinderfläche, genannt KINDERRANCH, bietet Platz für Spiel, Bewegung und Kinderveranstaltungen. Sie lässt sich für Green Event - Kindergeburtstagsfeiern mieten und ist ausschließlich mit upgecycelten Mobiliar ausgestattet. In den Sommerferien bietet das KLEINSTADTBIOTOP für zwei Wochen eine günstige solidarische Ferienbetreuung an. Somit entwickelt sich das Biotop immer mehr zu einem Treffpunkt für Familien.

Ein Standort für KURSE und WORKSHOPS: Im ATELIER finden regelmäßige Malkurse statt, während die KINDERRANCH zum STUDIO wird und für Kurse rund um Fitness, Gesundheit und Bewegung gemietet werden kann. Pizzakurse und vegane Kochkurse stehen ebenfalls am Programm. Kreative Kursanbieter:innen (HULA HOOP, Lindy Hop, Pilzzucht….) finden hier kostengünstige Mietflächen zum Ausprobieren und Unterstützung in der Bewerbung ihres Angebotes.

Eine Plattform für KOOPERATIONEN: Das KSB wurde im Rahmen eines Agenda 21 Bürgerbeteiligungsprozess entwickelt. Interessierte Bürger:innen, Unternehmen und Initiativen sind aber weiterhin eingeladen, ihre Ideen und Projekte einzubringen und umzusetzen. Eine der ersten von Bürger:innen getragenen Initiativen ist z.B. die gemeinschaftliche Sommerbetreuung, in der der Eltern gegenseitig die Kinderbetreuung übernehmen. Das KSB bietet Führungen und Informationen für interessierte Gruppen und Gemeinden an und versteht sich auch als Zentrum für neue Kooperationsformen. Anfragen kommen bereits aus ganz Österreich.

Ein NACHHALTIGKEITSPROJEKT: Nachhaltigkeit steht über dem Wirken im KLEINSTADTBIOTOP. Der Verein befasst sich intensiv mit diesem Thema und hat das Dokument „Nachhaltigkeit im Kleinstadtbiotop – ausgerichtet an den 17 globalen Nachhaltigkeitszielen“ verfasst. Diese werden im Rahmen des Vorstandes laufend weiterentwickelt und aktualisiert. In 15 von 17 der SDGs leisten das Biotop ihren Beitrag für eine nachhaltige Zukunft. Das Dokument „Nachhaltigkeit im Kleinstadtbiotop“ wurde der Einreichung beigelegt.

Rückschauend war vor allem die beständige Beteiligung von Bürger:innen und wichtigen Partner:innen ein wesentliches Erfolgskriterium für das Gelingen des Projekt, findet auch Petra Wimmer, Obfrau des KSB:

„Ein komplexes Entwicklungsprojekt braucht vor allem eine Menge Zeit, engagierte Menschen mit Umsetzungskompetenzen und den Mut in viele Richtungen zu denken. Diese Zeit haben wir uns im Agenda 21 Prozess auch genommen. Dort haben die richtigen Menschen zusammengefunden, die das Projekt dann auch gemeinsam gestartet haben“.

Petra Wimmer, Obfrau Verein Kleinstadtbiotop

Die vielfältigen Aktivitäten werden vom Verein Kleinstadtbiotop koordiniert und getragen. Der Verein kümmert sich auch um gemeinsames Marketing und bespielt die Allgemeinflächen im KSB mit diversen Veranstaltungen wie das monatliche Kinderfrühstück oder Märkte. Der Verein hat aktuell 60 Mitglieder, davon 40 Familienmitgliedschaften.

Kleinstadtbiotop Vöcklabruck